Sicher ist, dass Haushalte mit tiefen Einkommen besonders zu kämpfen haben. 80 Prozent der Ratsuchenden bei den gemeinnützigen Schuldenberatungsstellen verfügen über ein Haushaltseinkommen von unter 6000 Franken. Und gemäss einer Studie der FHNW sind 60 Prozent der Sozialhilfebeziehenden verschuldet.
Bezahlbare Mieten sind konkrete Schuldenprävention
Dienstag 22. Februar 2022
Pascal Pfister, Schuldenberatung Schweiz
Überschuldung ist für viele Menschen eine Realität – auch in der Schweiz. Wie viele Menschen davon genau betroffen sind, lässt sich auch aus den Zahlen des Bundesamtes für Statistik nicht ablesen. Doch gut ein Fünftel der Haushalte hat mindestens einen Zahlungsrückstand, bei Einelternfamilien und Paaren mit drei Kindern sind es deutlich mehr.
Wer hat Schuld an den Schulden?
Das Sprechen über Schulden ist klischeebeladen, wie dieses anonyme, aber typische Zitat zeigt: «Wer am Wochenende seinen geleasten Sportwagen durch die Strassen jagt, ist selber Schuld, wenn er Schulden hat.» Verschuldung wird hierzulande vorwiegend mit jugendlichem Leichtsinn in Verbindung gebracht. Mit Konsumrausch und einem Leben über den Verhältnissen.
Klar: Das kommt vor, bleibt aber eher die Ausnahme als der Regelfall. Spiel- oder Kaufsucht ist nur bei zwei Prozent der Ratsuchenden ursächlich für die Verschuldung. Die grosse Mehrheit hat andere Probleme: Ein geringes Einkommen gepaart mit Arbeitslosigkeit (24%), eine Trennung oder Scheidung (24%) oder gesundheitliche Schwierigkeiten (23%).
Dementsprechend besteht der Schuldenberg der Ratsuchenden insgesamt weniger aus Konsumkrediten (14%) sondern vor allem aus nicht bezahlten Steuern (30%) und Krankenkassenprämien (11%) (SBS-Statistik).
Die Corona-Pandemie und ihre ökonomischen Härten haben vielen Menschen verdeutlicht, dass wirtschaftliche Probleme sehr oft nicht in einem individuellen Versagen, sondern ungünstigen Umständen begründet sind. Vielleicht führt das auch zu einem Umdenken, wenn es um den Umgang mit überschuldeten Menschen geht?
Ertrinken in Schulden
Steigende Mieten und Krankenkassenprämien belasten die Haushalte mit tiefen Einkommen stark. Aber auch sogenannte Mittelstandsfamilien leben in einem Wohlstand auf Abruf. Auch sie können nach Schicksalsschläge in die Schulden abgleiten.
Wer überschuldet ist, droht in den Schulden zu ertrinken. Ein Rettungsseil ist in der Schweiz für diese Menschen nicht vorhanden. Immerhin will der Bundesrat jetzt ein neues Verfahren schaffen, mit dem ein Neustart möglich werden soll. Dies wäre ein wichtiger Schritt.
Bis dahin ist es wichtig, dass die Fixkosten der Betroffenen im Rahmen bleiben. Namentlich die Miete macht einen grossen Teil der Haushaltsbudgets aus. Gut, dass es Institutionen wie die Stiftung Habitat gibt, die sich für bezahlbare Mieten einsetzen und diese darüber hinaus in ihren eigenen Liegenschaften auch für all jene anbieten, die sie am dringendsten benötigen. Denn das ist ganz konkrete Schuldenprävention.
Quellen:
Zahlen zur Verschuldung in der Schweiz – Bundesamt für Statistik (10.2.2022)
Statistik der Mitgliederorganisationen, Schuldenberatung Schweiz (10.2.2022)
Verschuldet in der Sozialhilfe Umgang und Bewältigung aus Sicht der Betroffenen, Urezza Caviezel, FHNW (10.2.2022)
Ein Restschuldbefreiungsverfahren für die Schweiz, Schuldenberatung Schweiz (10.2.2022)