«Einfach geblieben» – das klingt so leicht, doch der freundliche Vinko Majic sagt es mit einem gewissen Ernst. Dahinter verbirgt sich eine Lebensgeschichte und ein Stück europäische Geschichte. Eigentlich wollte Vinko nur für ein paar Monate in die Schweiz reisen, um Geld zu verdienen. Im ehemaligen Jugoslawien war das als Jurist frisch von der Uni nicht so einfach. Sein Bruder arbeitete bereits in Basel und wohnte an der Haltingerstrasse (bis heute auch er!). Vinko fand einen Job im Gartenbau und erhielt eine Kurzaufenthaltsbewilligung. Das neue Umfeld gefiel ihm. Bald folgte ihm seine Frau Jasna mit dem neun Monate alten Sohn.
Wie Erde und Himmel
Rendez-vous No. 7
Freitag 11. Dezember 2020
Günstig und gut wohnen, mitten im Kleinbasel: Das entspricht der Philosophie von Jasna und Vinko Majic. Die beiden leben seit über 30 Jahren in unserem Mehrfamilienhaus an der Haltingerstrasse – zuerst als junges Paar in einer Einzimmerwohnung, dann in der jetzigen Dreizimmerwohnung. Wie die Wohnung hat ihnen auch die Schweiz gefallen, und sie sind einfach geblieben.
Klein, gross – das ist relativ
Die drei wohnten in einer Einzimmerwohnung. Jasna verdreht die Augen und lacht. «Ich weiss nicht, wie wir das geschafft haben. Heute kommt mir schon unsere Dreizimmerwohnung klein vor, wenn meine Enkelkinder da sind. Aber damals hat es mich nicht gestört», erzählt sie.
Dann brach in ihrer Heimat der Krieg aus. Die Region um Split war betroffen, sodass Vinko und Jasna in der Schweiz bleiben durften. Vinko erhielt von seinem Arbeitgeber nach mehreren Saisonverträgen eine feste Stelle und vom Staat eine Jahresaufenthaltsbewilligung. Die Familie, unterdessen zu viert mit einem kleinen Mädchen, zog in die grössere Wohnung. Und jetzt fällt der Satz: «Wir sind einfach geblieben.»
Zuhause
Nach zehn Jahren erhielten die Majic eine Niederlassungsbewilligung. Irgendwann realisierten sie, dass sie sich in der Schweiz mehr Zuhause fühlten als in Kroatien. Vinko: «Ich war immer froh, wenn ich auf der Rückreise von den Sommerferien in Kroatien in Chiasso über den Zoll in die Schweiz fuhr.» Also liessen sie sich einbürgern. «Als wir die Pässe erhielten, klebte ich ein riesengrosses CH aufs Auto», erinnert er sich lachend. Jasna nickt: «Wir sind stolz. Viele Ausländer mögen die Schweiz mehr als die Schweizer selbst.» Heute können sich die beiden nicht vorstellen, woanders zu leben. Genauso empfindet es Jasna mit ihrer Wohnung: «Es fühlt sich wie meine Eigentumswohnung an. Ich habe keine Lust, umzuziehen und für eine Wohnung 2000 Franken zu zahlen», sagt sie mit Nachdruck.
Unterschiedliche Leidenschaften
Die Wohnung ist picobello aufgeräumt und verrät nichts über die Hobbys und Lieblingsbeschäftigungen der beiden. Oder nur, wenn man ganz genau schaut. In einer Ecke steht eine blaue Sportmatte. Und aus dem Nichts holt Vinko ein paar Hanteln hervor. Der 57-Jährige trainiert täglich und ist topfit. «Früher habe ich Fussball gespielt: zweimal die Woche Training, dazu Meisterschaften und Grümpeli», berichtet er. Dann kam das Schwimmen, einen Kilometer Crawl täglich. Doch der Strassenbau, wo er einige Saisons arbeitete, ruinierte seinen Rücken. Vinko war eine Zeit lang invalid und begann mit Rückentraining, bis er nach zwei Jahren wieder arbeiten konnte. Seither ist er im Elektrounterhalt tätig. Das tägliche Krafttraining hat er beibehalten, er joggt und fährt Velo.
Ein Kruzifix an der Wand verweist auf Vinkos zweite Passion: Jeden Sonntag geht er in die Kirche, die Kroatische Mission, und liest zu Hause die Bibel. «Das Krafttraining ist für meinen Körper, die Bibel für meine Seele, für meine innere Kraft», erklärt er und bezeichnet sich als sehr religiös.
Erde und Himmel
Jasna mag Sport nicht besonders. Und während Vinko gerne draussen in der Natur ist, sagt sie von sich: «Ich könnte den ganzen Winter drinnen verbringen.» Die beiden brennen für Unterschiedliches – oder wie es Jasna ausdrückt: «Wir sind wie Erde und Himmel.» Die beiden Welten treffen sich beim Reisen: An den Wänden hängen zahlreiche Fotos des strahlenden Paares – vor dem Eiffelturm, vor dem Kolosseum, am Strand…
Erfolg auf Instagram
Keine Hinweise in der Wohnung gibt es auf Jasnas Lieblingsbeschäftigung, auch nicht in der Küche. Bis sie eine Schale mit perfekten Keksen auf den Tisch stellt. «Ich backe fast jeden Tag, ich bin geradezu süchtig danach», offenbart sie. Sie bäckt Kuchen, kunstvolle Torten, Patisserie, Plätzchen, sie verziert und dekoriert, schreibt Rezepte um, kombiniert sie zu neuen. Doch damit nicht genug, sie führt einen Blog: Backen mit Jasna, auf Kroatisch. Angestiftet von ihrer Tochter, stellte sie einige Fotos auf Instagram, «nur so zum Spass», wie sie sagt. Mit dem Resultat, dass sie mittlerweile 82'000 Followers hat. All das leistet sie neben ihrem 80-Prozent-Job in der Pflege und neben dem Haushalt.
Vinko ist sichtlich stolz auf seine Frau – und erstaunlich schlank geblieben. Dem Sport sei’s gedankt.
Text
Claudia Bosshardt
wortgewandt.ch
Fotos
Michael Fritschi
foto-werk.ch